Das Grassimuseum in Leipzig besitzt 18 einzigartige Treppenhausfenster, die bis zu 8 Meter hoch sind. Die Fenster wirken sowohl von innen als auch von außen als integraler Bestandteil der Architektur des in den Jahren 1925 bis 1929 erbauten Museums. Mit der künstlerischen Gestaltung der zum Mittelhof weisenden Fenster wurde damals der Bauhaus-Künstler Josef Albers beauftragt. Im Zweiten Weltkrieg, in der Nacht zum 4. Dezember 1943, zerbersten jedoch die Fenster beim verheerenden Luftangriff im Bombenhagel vollständig.
Von dieser flächengrößten Flachglasarbeit der Dessauer Bauhausperiode bleibt kein einziges Stückchen übrig. Nur einige Bild- und Schriftquellen sind erhalten geblieben. Daher stellt die Rekonstruktion der sogenannten Albers-Fenster Ende 2011 den krönenden Abschluss der bereits im Jahre 2000 begonnenen Generalsanierung des Grassimuseums dar.
Mit den zuvor nötigen historischen, künstlerischen und technischen Fragen beschäftigten sich Frau Dr. Eva Maria Hoyer und Dr. Olaf Thormann vom Grassimuseum, B.F.A. Oliver Baker von der Albers Foundation (USA), Spezialisten der Glasmalerei Peters und Christine Triebsch. Um das künstlerische Geheimnis der Farbglasfenster zu lüften, musste sie tief in die Gedankenwelt des ursprünglichen Schöpfers eintauchen.
Die Kunstwissenschaftlerin Dr. Renate Luckner-Bien schreibt in der Ausgabe 4 /2011 von ›Art Aurea‹: »Christine Triebsch schätzt Albers nicht zuletzt dafür, dass und wie es ihm in selbst auferlegter formaler, farblicher und materialtechnischer Beschränkung gelingt, größtmögliche Variabilität zu erzielen. Sie fand heraus, dass zu den von Albers zum künstlerischen Programm erhobenen ›ökonomischen‹ Mitteln auch eine partielle Innen-nach-außen-Drehung der Gläser gehört.«
Erst aufgrund aufwändiger Testreihen der Glasmalerei Peters zur glastechnischen Umsetzung des ›Alberschen Prinzips‹ wurde die künstlerische Interpretation /Rekonstruktion möglich. Die Glashütte Lamberts, eine der wenigen Hersteller, die das traditionelle Verfahren von mundgeblasenem Mehrfach-Überfangglas noch beherrschen, fertigte die speziell notwendigen Glastafeln.
Der Zuschnitt der einzelnen, gleichtonigen Glassegmente für deren Bleiverglasung erfolgte aus klarem Echtantikglas mit Doppel-Überfang: weiß-opak und gelblich-grün. Sowie aus gelblichgrünem Echtantikglas mit weiß-opakem, aufgerissenem Einfach-Überfang. Weitere farbliche Modellierungen wurden durch selektive Wendung erzielt oder durch die Auswahl des Tafelausschnittes. Schwarzlotmalerei unterschiedlicher Dichte auf den Außen- und Innenseiten bestimmen die grafische Prägnanz.
Die Prismenwirkung von 4419 polierten Keil- und Flachschliffen, präzise in Handarbeit von der Glasveredelung Schupp gefertigt, bewirken ein lebhaftes Lichtspiel im Verlauf des Tages. Die Scheiben wurden mit verschieden starken Bleiruten verbleit und anschließend verkittet. Um die beabsichtige ästhetische Außenansicht nicht zu beeinträchtigen wurden bei diesem Projekt auf eine Außenschutzverglasung verzichtet.
Josef Albers wurde am 19. März 1888 in Bottrop geboren. Er erhielt von 1905 bis 1908 seine Ausbildung am Lehrerseminar in Büren und unterrichtete anschließend als Volksschullehrer. 1908 sah er zum ersten Mal Werke von Paul Cézanne und Henri Matisse. Durch Piet Mondrian inspiriert, malte er 1913 sein erstes abstraktes Bild. Er studierte von 1913 bis 1915 an der Königlichen Kunstschule in Berlin und an der Kunstgewerbeschule in Essen. Abschließend studierte er von 1916 bis 1919 an der Akademie der Bildenden Künste in Berlin und 1919–1920 bei Franz von Stuck an der Kunstakademie in München. 1920 schloss er sich dem Bauhaus in Weimar an, ab 1925 in Dessau und 1932 bis 1933 in Berlin. Er wurde dort 1925 Baumeister und 1930 stellvertretender Direktor. Seine Lehrfächer waren vor allem Glastechnik und Holzverarbeitung. 1932 hatte er seine erste Einzelausstellung. 1933 wurde das Bauhaus durch die Nationalsozialisten geschlossen und alle Lehrkräfte entlassen und Albers verließ mit seiner Frau Anni Deutschland und emigrierte in die USA.
In Amerika unterrichtete er vom November 1933 bis 1949 am Black Mountain College in North Carolina. 1939 nahm er die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Zu seinen bedeutendsten Schülern zählen Robert Rauschenberg, Donald Judd und Kenneth Noland. Während seiner Lehrtätigkeit am Black Mountain College lernte er unter anderem auch Künstler wie John Cage und Merce Cunningham kennen. Von 1934 bis 1936 gehörte er der Pariser Künstlergruppe Abstraction-Création an. 1935 reiste das Künstlerehepaar erstmals nach Kuba und Mexiko und wurde durch die Architektur beeindruckt und beeinflusst. Von 1950 bis 1959 stand er dem Art Department der Yale-Universität vor, wo er unter anderem Eva Hesse und Richard Serra, Richard Anuszkiewicz und Julian Stanczak unterrichtete. Josef Albers hatte zahlreiche Gastdozenturen z. B. in Harvard, Hartford, Havanna und Santiago de Chile. Er kehrte 1953, als Gastdozent der Hochschule für Gestaltung in Ulm, nach Deutschland zurück. Am 25. März 1976 verstarb Josef Albers in New Haven, Conneticut.